Freitag, 3. Mai 2013

Mein Sport

Der Ort meiner Körperübung, das ist der Volkspark Friedrichshain, dieser friedvolle Ort. Doch der Ort meiner Schmerzen. Mein Herzensort, wo ich Frieden herstelle, indem ich meine Hände um die blank polierten Stahlstreben eines Klettergerüsts schließe. Ich führe mein Kinn an die Stange, spüre die Kälte des Metalls durch die Stoppeln meines Barts, zwinge meinen Rücken und meine Arme zu dieser Leistung. Zehnmal auf, zehnmal ab. Und hänge dann zwei tiefe Atemzüge lang. Und ziehe nun beim dritten Luftholen, weiter hängend, die Beine in die Höhe, auf dass mein Rumpf sie heben muss. Manchmal bis zur Wagerechten, manchmal bis hoch zum Kopf. Zehn mal. Und von neuem. Bis zum siebten Satz.


Ich habe meine Arme gelehrt, das Gewicht meines Körpers zu tragen. Und indem ich hänge, mich emporziehe und gegen die Schwere stemme, lernt meine Muskulatur das Würdigste der Gewichte. Muskeln lernen durch Schwere; mein Friede kommt aus dem Kampf ums Leichte.

Und über mir weitet sich der Himmel. Im Schmerz scheint er mir so weitläufig wie er in der Weichlichkeit nie sein kann. Nie scheint mir die Luft der Lunge so willkommen kühl; mein Herz schlägt eilig. Die Ruhe zwischen den Sätzen ist ein köstlicher Trost, ein Einüben der Erholung zum Abschluss des sportlichen Zirkelns. Eine Stunde lernen meine Hände das Leichte durch die Schwere.

Ein kaltes, blankes Gerüst und ein kalter, blanker Barren. Zwei parallele Stangen über Schlamm. Ich in Liegestütz-Haltung darauf, Hände und Zehenspitzen auf dem Metall. Ein Meter unter mir der Dreck. Über mir der Himmel und die Eichen und der Fernsehturm, der seine Spitze aus dem Laubwerk reckt. Trainiere ich abends, leuchtet seine Kugel als halbhelle Lampe. Und die Menschen sind immer um mich. Als Sportler und Ruhende. Als Speisende und Schläfrige. Als Neugierige, Gleichgültige und Spötter. Meine Kraft, meine Ruhe, das verstehen wenige, kommt aus der Schwere. Meine Hände halten das Tragwürdigsten der Gewichte. Und mein Lohn ist: Das Leichte.