Donnerstag, 27. Juni 2013

Münze oder Missachtung

Witold, der Trompeter



Jeder hört ihn, kaum einer kennt ihn. Mancher gibt ein paar Cent, viele gehen vorüber. Münze oder Missachtung, ermuntern oder entmutigen – das ist ein Grat, so verschwindend schmal. Witold Jagura, 24 Jahre alt, ein Weltenbummler aus dem polnischen Lodz, hat sich den Alexanderplatz als riesenhafte Bühne gewählt. Irgendwo zwischen ParkInn-Hotel, Kaufhäusern und Bahnhofshalle wird man ihn kauern finden, mit dem Blasstück an den Lippen. Fast jeden Tag. Man muss nur seine Ohren achtgeben lassen, um ihn zu finden. Klagelaute gegen die Nichtbeachtung vernehmen. Trompetenstöße voll trauriger Sehnsucht vor dem ewigen Wassersturz des Brunnens. Immer sind es Filmmelodien. „Godfather“, „Star Wars“, „Indiana Jones.“ Witold kann nur so blasen, als bliese er vor vollen, achtsamen Rängen, obschon ihn Berlin unaufhaltsam und taub umströmt. Klimpert es nicht oft genug im aufgeklappten Koffer, stoppt er, wie er dort der Musik ergeben kauert, den Gang zu weniger Leute – so wird Witold obdachlos. Sein Ziel ist so bescheiden wie dringlich: 40 Euro am Tag.

„Der Alexanderplatz ist dafür ein guter Ort. Hier laufen ja so viele Menschen herum“, erzählt der Solist, der mit seiner Freundin und der Hündin Mewa in Neukölln lebt. Oft genug laufen die Menschen aber auch an ihm vorbei, strafen seine Sehnsucht mit dem Wunsch, die Bahn zu kriegen. Für Witold nur ein weiterer Ansporn. „Viele sind ignorant“, weiß er. „Sie denken: Er sitzt da und tut nichts Sinnvolles. Warum sollte ich ihm Geld geben? Er spielt doch auch so.“

In der Tat muss viel zusammenkommen, um den jungen Polen mit der Trompete verstummen zu lassen. Frost und sengende Hitze erträgt er mit Gleichmut, birgt Mewa in Decken, gibt sich selbst den Launen der Passanten preis. Nun, da er seit zwei Jahren permanent den Platz bespielt, weiß er, dass es fast aussichtslose Tage gibt, an denen fast niemand die Geldbörse zuckt. Aber dann besucht ihn nach einem unvorhersehbaren Gesetz das Glück. „Manchmal kommt jemand daher und fragt: Wie viel brauchst Du? Ich sage: 40 Euro. Und sie geben 50. Auf einen Schlag.“ Ob Witold staatliche Hilfe zusteht, weiß er nicht. Er hat nie danach gefragt – und er will es auch nicht. „Das Trompeten ist doch mein Job. Ich habe doch zwölf Jahre gebraucht, um ihn zu erlernen.“ Witold Gesicht erzählt von der Angst des Einzelnen, den das Unverständnis der vielen bedroht.


Fragt man ihn, ob er auch zu buchen ist, erhält man ein Nicken. „Aber keine Parties, kein Hochzeiten. Ich spiele – auf Beerdigung. Da braucht man mich wirklich.“ Indem Witold das sagt, kommen ihm Tränen. Sie quellen aus seinen Wimpern, perlen über die Wangen. „Es ist doch das letzte Mal, dass die Leute ihre Väter, Mütter und Freunde sehen. Erst da brauchen sie wirklich gute Musik.“


Wer Witold Jagura für eine Trauerfeier buchen möchte, erreicht ihn telefonisch unter 0152-17121352.

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