Witold, der Trompeter
Jeder hört ihn, kaum einer kennt ihn.
Mancher gibt ein paar Cent, viele gehen vorüber. Münze oder
Missachtung, ermuntern oder entmutigen – das ist ein Grat, so
verschwindend schmal. Witold Jagura, 24 Jahre alt, ein Weltenbummler
aus dem polnischen Lodz, hat sich den Alexanderplatz als riesenhafte
Bühne gewählt. Irgendwo zwischen ParkInn-Hotel, Kaufhäusern und
Bahnhofshalle wird man ihn kauern finden, mit dem Blasstück an den
Lippen. Fast jeden Tag. Man muss nur seine Ohren achtgeben lassen, um
ihn zu finden. Klagelaute gegen die Nichtbeachtung vernehmen.
Trompetenstöße voll trauriger Sehnsucht vor dem ewigen Wassersturz
des Brunnens. Immer sind es Filmmelodien. „Godfather“, „Star
Wars“, „Indiana Jones.“ Witold kann nur so blasen, als bliese
er vor vollen, achtsamen Rängen, obschon ihn Berlin unaufhaltsam und
taub umströmt. Klimpert es nicht oft genug im aufgeklappten Koffer,
stoppt er, wie er dort der Musik ergeben kauert, den Gang zu weniger
Leute – so wird Witold obdachlos. Sein Ziel ist so bescheiden wie
dringlich: 40 Euro am Tag.
„Der Alexanderplatz ist dafür ein
guter Ort. Hier laufen ja so viele Menschen herum“, erzählt der
Solist, der mit seiner Freundin und der Hündin Mewa in Neukölln
lebt. Oft genug laufen die Menschen aber auch an ihm vorbei, strafen
seine Sehnsucht mit dem Wunsch, die Bahn zu kriegen. Für Witold nur
ein weiterer Ansporn. „Viele sind ignorant“, weiß er. „Sie
denken: Er sitzt da und tut nichts Sinnvolles. Warum sollte ich ihm
Geld geben? Er spielt doch auch so.“
In der Tat muss viel zusammenkommen, um
den jungen Polen mit der Trompete verstummen zu lassen. Frost und
sengende Hitze erträgt er mit Gleichmut, birgt Mewa in Decken, gibt
sich selbst den Launen der Passanten preis. Nun, da er seit zwei
Jahren permanent den Platz bespielt, weiß er, dass es fast
aussichtslose Tage gibt, an denen fast niemand die Geldbörse zuckt.
Aber dann besucht ihn nach einem unvorhersehbaren Gesetz das Glück.
„Manchmal kommt jemand daher und fragt: Wie viel brauchst Du? Ich
sage: 40 Euro. Und sie geben 50. Auf einen Schlag.“ Ob Witold
staatliche Hilfe zusteht, weiß er nicht. Er hat nie danach gefragt –
und er will es auch nicht. „Das Trompeten ist doch mein Job. Ich
habe doch zwölf Jahre gebraucht, um ihn zu erlernen.“ Witold
Gesicht erzählt von der Angst des Einzelnen, den das Unverständnis
der vielen bedroht.
Fragt man ihn, ob er auch zu buchen
ist, erhält man ein Nicken. „Aber keine Parties, kein Hochzeiten.
Ich spiele – auf Beerdigung. Da braucht man mich wirklich.“ Indem
Witold das sagt, kommen ihm Tränen. Sie quellen aus seinen Wimpern,
perlen über die Wangen. „Es ist doch das letzte Mal,
dass die Leute ihre Väter, Mütter und Freunde sehen. Erst da
brauchen sie wirklich gute Musik.“
Wer Witold Jagura für eine Trauerfeier
buchen möchte, erreicht ihn telefonisch unter 0152-17121352.

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