Sonntag, 7. April 2013

Dein Jazz wärmt nicht

Der Jazzmann setzt jetzt ab. Nun, da dieser Menschenpulk an ihm vorbeiging, hört der Jazzmann also auf, die goldfarbene Schlange zu küssen. Das Saxofon sinkt die Flanke hinab. Und der Musiker – schwarzes Barrett auf schwarzem Haar, grauer Trenchcoat, Kampfstiefel auf nassem, schmutzigem Brückenboden – reibt seine Hände. Er spürt jetzt, dass es kälter wurde. Erst als diese S-Bahn-Passagiere in allen möglichen Winkeln der Nacht verschwunden sind, zeigt sich, dass sie ihn mit Achtlosigkeit beschädigt haben. Ohne Gewähr zum Innehalten holte ihr Ziel sie an ihm vorbei.


Der Jazzmann spielt heute Nacht wie einer, der noch nie gespielt hat, hier auf der Warschauer Brücke. Dem ewig provisorischen Steg zwischen der Niederung, wo die S-Bahnen einheulen – sie heulen zehnminütlich spätfreitagnachts – und dem dem eigentlichen Brückenungeheuer. Der Jazzmann hat den Misserfolg um seinen Hals gehängt, obschon ihn daran keine Schuld trifft. Er spielte eben die Melodie von „Pink Panther“, spielte sie genügend gefühlvoll, trug Sorge für das beschwingende Näseln seines Saxofons, tappte mit lustvoll zugekniffenen Augen vor und zurück.

Er wollte dafür die Münzen der Zielstrebigen – als Straßenmusiker auf einer Brücke. Einige wenige Geldstücke schimmern jetzt in seinem kleinen Teller, dem Spendenfänger aus Porzellan. Zu vieles ließ die Vorübergehenden weghören, wegsehen, nicht fühlen. Das Dönerbrot, in das sich die Zähne gruben, war wichtiger. Das Telefonat mit einer unpünktlichen Freundin war wichtiger. Das Auskosten des Suffs war wichtiger. Der Blick auf den Fernsehturm und das Vibrieren des Brückenstahls durch den abfahrenden Zug, dies verhieß das Erlebnis. Nicht die Melodie. Unschuldig sind die Missachtenden. Ihre Sinne litten an Betäubung. Sie waren im Pulk. Dieser Jazzmann aber hat nur ein Prinzip: Er spielt nicht für einzelne. Erst als ich der einzige auf der Brücke bin, für fünf Minuten, erst als er die Schnapsflasche zitternd an die Lippen führt, zeigt sich, dass er friert.

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