Mittwoch, 30. Juli 2014

Glück vergeht einsam




Wenn Lippen auf Lippen drücken und Pupillen sich weiten, als wollten sie Sternbilder auf den Sehnerv bannen, wenn Liebende uns ihr Glück verkünden, den Straßenraum mit dem Echo ihrer Laute besetzen, dann wird Berlin zum Schlachtfeld der süßest möglichen Invasion. Im Alltag aller anderen lesen Liebende ihren romantischen Skript, ja sehen jeden Nichtbetroffenen als Bühnenbildner ihres persönlichen Theaters. Berlin ist ein Ort, der Zweisamkeit öffentlich applaudiert. Ganz im Privaten ließe sich nicht mitteilen, wie weit die Brust vor Glück geschwollen ist. Also vermählen sich Lippen auf Plätzen und Bänken, in Zügen und Bussen. Liebe wohnt unbefristet auf Fluren, sie nistet in Parks, badet in unseren Flüssen. Sie geniert sich nicht, sie lebt ihre Unzähmbarkeit, sie führt sich uns allen in aller Unschuld vor. Zwei unter vielen zu sein, ist eine vorzügliche Definition des Berliner Glücks.

Wenn aber die Süße gärt, wenn das Echo nur noch flüstert. Wenn nun der Bach versiegt. Wie anders erleben wir das Verebben des Gefühls. Städtische Liebe verendet in der heimlichen Tragik eines angefahrenen Tiers. Ja, sie stirbt langsam wie ein Geschöpf, das sich von Kräften, die seine Vorstellung überstiegen, unter gleißenden Scheinwerferkegeln und einem Metall-auf-Knochen-Stoß aus der Lebensfähigkeit geschleudert sah – und noch nicht ganz ins Reich des Todes. So flüchten Getroffene mit dem sterbenden Gefühl im Bauche fort von all den Menschen. Taumeln an entlegenen Orte, beschreiten das Jenseits aller Randlagen, kauern im Nirgendwo, hängenden Kopfes, als lebendes Mahnmal des sterbenden Gefühls. Berliner Liebe erblüht in höchstem Maße zweisam auf unseren Straßen, aber sie verklingt weit jenseits unseres Sichtfelds. Das Ende dieser Liebe ist das einsamsten, das flüchtigste, das unsichtbarste Geschäft.

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