Wenn Lippen auf Lippen drücken und Pupillen sich
weiten, als wollten sie Sternbilder auf den Sehnerv bannen, wenn
Liebende uns ihr Glück verkünden, den Straßenraum mit dem Echo
ihrer Laute besetzen, dann wird Berlin zum Schlachtfeld der süßest
möglichen Invasion. Im Alltag aller anderen lesen Liebende ihren
romantischen Skript, ja sehen jeden Nichtbetroffenen als
Bühnenbildner ihres persönlichen Theaters. Berlin ist ein Ort, der
Zweisamkeit öffentlich applaudiert. Ganz im Privaten ließe sich
nicht mitteilen, wie weit die Brust vor Glück geschwollen ist. Also
vermählen sich Lippen auf Plätzen und Bänken, in Zügen und
Bussen. Liebe wohnt unbefristet auf Fluren, sie nistet in Parks,
badet in unseren Flüssen. Sie geniert sich nicht, sie lebt ihre
Unzähmbarkeit, sie führt sich uns allen in aller Unschuld vor. Zwei
unter vielen zu sein, ist eine vorzügliche Definition des Berliner
Glücks.
Wenn aber die Süße gärt, wenn das
Echo nur noch flüstert. Wenn nun der Bach versiegt. Wie anders
erleben wir das Verebben des Gefühls. Städtische Liebe verendet in
der heimlichen Tragik eines angefahrenen Tiers. Ja, sie stirbt
langsam wie ein Geschöpf, das sich von Kräften, die seine
Vorstellung überstiegen, unter gleißenden Scheinwerferkegeln und
einem Metall-auf-Knochen-Stoß aus der Lebensfähigkeit geschleudert
sah – und noch nicht ganz ins Reich des Todes. So flüchten
Getroffene mit dem sterbenden Gefühl im Bauche fort von all den
Menschen. Taumeln an entlegenen Orte, beschreiten das Jenseits aller
Randlagen, kauern im Nirgendwo, hängenden Kopfes, als lebendes
Mahnmal des sterbenden Gefühls. Berliner Liebe erblüht in höchstem
Maße zweisam auf unseren Straßen, aber sie verklingt weit jenseits
unseres Sichtfelds. Das Ende dieser Liebe ist das einsamsten, das
flüchtigste, das unsichtbarste Geschäft.
